Mieter gesucht und leider gefunden

Der Leerstand einer Mietwohnung löst bei einem Kapitalanleger sofort hektischen Aktionismus aus. Da gilt es, Anzeigen zu schalten – und ein Besichtigungstermin jagt den nächsten. Möchte man meinen. Aber die Zahl der Interessenten reduzierte sich in unserem Fall schneller, als uns lieb war.

Der Nomade im Speck | Thorsten Fiedler

Schon die telefonische Vorauswahl der möglichen Mietinteressenten kann entscheidende Auswirkungen haben. Man legt vorab einen Fragenkatalog fest, um die Seriosi-tät der Mietwilligen zu überprüfen, vorausgesetzt natürlich, man spricht ihre Sprache. Es werden die wichtigsten Vorgaben überprüft, um sicherzugehen, dass der potenzielle Mieter in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Dazu bedarf es natürlich eines gesicherten Einkommens. Die Anzahl der einziehenden Personen ist abzuklären und natürlich die Frage, ob es sich um eine langfristige Mietabsicht handelt.

Stattdessen sieht man sich aber mit einem Forderungskatalog des Mietinteressenten konfrontiert, der in keiner Weise mit dem angebotenen Mietpreis in Verbindung gebracht werden kann.

Nein – die Wohnung für 100 Euro kalt hat keine Einbauküche und auch keinen Gartenanteil. Leider gibt es keine Gästetoilette und Parkettböden wurden nur im Salon und in den Ankleidezimmern verlegt. „Sie wollen mich wohl verarschen?“ – naja, „Sie haben aber damit angefangen!“

So und ähnlich verlief eine Vielzahl der Telefonate und ein Ende war nicht in Sicht. Da meldete sich ein Interessent mit einer zugegebenermaßen sehr angenehmen Telefonstimme. Er würde einen Ort weiter wohnen und habe sehr großes Interesse an der ausgeschriebenen Wohnung, die ihm schon länger bekannt sei, da unser Hausmeister sie ihm bei einer persönlichen Führung gezeigt habe. Auf die Anfrage, ob wir bei ihm vorbeikommen würden, um möglicherweise einen Mietvertrag abzuschließen, sagten wir leichtsinnigerweise zu.

Für die Identifizierung dieses Herrn, der im weiteren Verlauf noch eine Rolle spielen sollte, nennen wir ihn der Einfachheit halber Andreas Bernhard Zocker, kurz A. B. Zocker. Als wir zu der besagten Adresse fuhren, hätten wir am Eingang einfach umdrehen sollen. Mit dem dadurch ersparten Geld hätten wir einen ambitionierten Drittliga-Fußballverein jahrelang am Leben erhalten können. Natürlich kehrten wir nicht um.

Was uns schlussendlich dazu bewog, mit unserem Gegenüber einen Mietvertrag abzuschließen, wird wohl bis in alle Ewigkeit eine Fehlentscheidung bleiben. Ein bisschen gruselig hat er schon ausgesehen mit seinen stechenden Augen und dem nur partiell vorhandenen Gebiss und von „seriös“ war er ungefähr so weit weg wie unsere hessische Kleinstadt vom Äquator. Aber was war es dann, das uns veranlasste, ausgerechnet diesen Herrn auszuwählen? Es war ganz einfach – er war der letzte übrig gebliebene Mietinteressent.

Die Mietzahlung sei kein Problem, so sprach A. B. Zocker, denn für ihn zahle das Amt, und dies immer schnell und pünktlich. So trug es sich zu, dass fortan Herr Zocker Mitglied unserer schon damals nicht hundertprozentig intakten Hausgemeinschaft wurde.

Der Umzug war für ihn stressfrei, denn das Amt schickte mehrere Möbelpacker. Sie packten all seine Habseligkeiten fein säuberlich ein und räumten sie in der neuen Wohnung wieder in die Schränke, die im Vorfeld natürlich durch vom Amt bestelltes Personal ordnungsgemäß aufgebaut worden waren. Dies ist auch das Mindeste, was man an dieser Stelle vom Amt verlangen kann, denn nach der inzwischen schon sieben Jahre andauernden Neuorientierungs und Findungsphase meines Neumieters machte sich dessen Kräfteverschleiß langsam bemerkbar.

Erstaunlicherweise mussten wir in unserem bisherigen Leben bei jedem Umzug alle Sachen selber aus und dann wieder einräumen, und das trotz eines nebenbei stattfindenden 10-stündigen Arbeitstags. Aber es war auch dringend notwendig, ganztägig zu arbeiten, sonst hätten wir uns die teuren Möbelpacker überhaupt nicht leisten können. Egal – Hauptsache, die Mieter fühlen sich wohl und der Alltagsstress wird so weit wie nur irgend möglich von ihnen ferngehalten.

Auf meine Frage, warum es denn so schwer sei, einen geeigneten Job zu bekommen, meinte mein Neuzugang, dass ein schweres Rückenleiden jegliche Art körperlicher Arbeit schier unmöglich mache. Da er leider über keinerlei kaufmännische Kenntnisse verfüge, finde sich irgendwie nicht das Richtige für ihn, obgleich ich ansatzweise vermute, dass es bei der Suchintensität noch deutlich Luft nach oben gab.

Nach einer Weile stellten wir fest, dass unser rückengebeutelter Mieter bei einem Gartenbauunternehmen steuerunschädlich Baumwurzeln ausgrub und Löcher schaufelte. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.

Der Nomade im Speck | Thorsten Fiedler

Natürlich gibt es auch viele Menschen, die gerne arbeiten würden, denen aber aus irgendwelchen Gründen der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen bleibt. Aber die beschriebenen Mieter gehören nicht dazu. Wenn überhaupt, wurde sich nur passiv beworben. Sollte es einmal an der Tür klingeln und ein solventer Unternehmensinhaber sich mit reichlich Werbematerial und Bargeld im Gepäck bei meinen Mietern vorstellen, vielleicht könnte der eine oder andere dann schwach werden, wer weiß?